Ausstellung vom 21. September 2011 - 29. November 2011
Hartmut Neumann baut Nester für seine Tiere. Er schafft sie als ornamentale, verschlungene Gebilde, die das gesamte Bildfeld überziehen. Undurchdringlich, wie ein Dschungel entsteht ein dichter Bildraum. Kaum etwas bleibt ausgespart. Die erfundene, künstliche Bildwelt ist nicht die eigentliche Welt der Tiere. Und doch ist sie so gemacht, dass sich die Tiere dort einfinden, heimisch und geborgen fühlen, sich darin verstecken, einbinden in das Gespinst von Blättern, Zweigen und Ästen.
Es ist eine Welt exemplarisch reduziert und verdichtet auf die sehr begrenzte Fläche des Bildes, die durch die Randbemalung eher nach außen abgeschlossen als geöffnet wird. Es ist ein hermetischer Ort, jenseits aller in der äußeren Wirklichkeit erfahrbaren Orte. Diese artifizielle Natur ist ohne jeden Vergleich. Allein Versatzstückelassen sich identifizieren oder nur sehr langsam benennen. Der so hervorgebrachte Illusionsraum entzieht sich gleichwohl der Vermaßung wie auch Proportionen unklar werden. Hierin finden die Tiere ihr Dasein: Affen und Vögel, Maulwürfe und Fledermäuse. So wird das gesamte Bild zu einem Nest, zu einer Höhle und einem Refugium für ein anderes, lebendiges Dasein, ein geschaffener Hortus Conclusus, ein Paradiesgärtlein, in dem Sehnsüchte von All-Einheit sich versammeln. Es gibt aber auch eine dunkle Seite. So sehr die Bilder von Hartmut Neumann diese paradiesische Welt zelebrieren, so sehr unterläuft er zugleich das Bild der absoluten Harmonie.
Der erste Bruch tut sich auf, weil die Tiere im Gegensatz zum Uraum durchaus naturalistisch wiedergegeben sind. Tiere sind als bildtragende Figuren ohne Mühe zu identifizieren. Ihr Aktionsraum ist eine bloße Erfindung, gleichsam eine Synthese verschiedenster Versatzstücke, eine Inszenierung, ein künstlich-künstlerischer Bühnenraum. Es ist ein Theater mit der nötigen Distanz zur Wirklichkeit. Die Landschaften sind allesamt erfunden. Ihr Konstrukt setzt das Tier in eine virtuelle, extrem künstliche Situation.
Neumanns malerische Handschrift ist geprägt von der besonderen Betonung der Kontur. Die Bilddinge werden dadurch klar voneinander getrennt. Die Separierung schafft eindeutige Zuordnungen von Gegenstand und Farbe. Es ist geradezu eine Zersplitterung des Bildes, die auf eine solche Weise hervorgerufen wird. Nicht zuletzt verweist dies auf die Wurzeln Neumanns im Holzschnitt, dem eine gewisse Vergröberung und auch Separierung der Bildkompartimente eigen ist. Die darin angelegte Vereinfachung der Gegenstandsformen eröffnet aber zugleich ein malerisches Potential, das die konturierende Linie zu einem konturierenden Moment macht. Die Abgrenzung der Bildfelder könnte eine größere und Klarheit und Übersichtlichkeit erzeugen. Aber die Verwobenheit und das verstrickte bewirken geradezu das Gegenteil. Daraus entstehen die befremdliche Bildspannung und zugleich eine unauflösliche Magie der Dinge und ihrer Welt: Klarheit und Unklarheit, Hell und Dunkel, Farbe und Nichtfarbe, Fläche und Kontur.
Die Verweise auf die außerbildliche Wirklichkeit sind allerdings kein Dogma, sondern werden verstanden als ein unausgeschöpftes und unausschöpfliches Potential für gültige Malerei einschließlich der darin liegenden Abstraktionsmöglichkeiten. Auch einer Malerei, die sich immer wieder mit dem Gegenstand auseinandersetzt, geht es um mehr als die Abschilderung von Geschehenem. Auch im Modus eines mimentischen Bildes, das den wiedererkennbaren Gegenstand ganz bewusst ins Bild integriert und ihm einen wichtigen Platz einräumt, sind es die abweichenden und überschießenden Momente, die den Bedingungen der Malerei entsprechen. Bei Neumann sind es die abstrahierende Ornamentik, die Überfülle der Formen und vor allem das höchst artifizielle Bildkonstrukt, das, was man Komposition nennen könnte.
Warum also hat in dieser technisch und motivisch sehr besonderen Malerei von Hartmut Neumann gerade die Tierwelt eine Bedeutung, eher ein Randthema der alten Malerei, ein Bereich für spezialisierte Kleinmeister?
Geradezu unvermeidlich ist das Tier ein Spiegelbild des Menschen, seiner Befindlichkeiten und Eigenschaften. Dies gilt besonders deshalb, weil die menschliche Figur bei Neumann selten vorkommt. Dabei geht es um sehr allgemeine Aussagen. Denn in der Tierdarstellung wird man eigentlich nicht von Portrait sprechen können, wie wir dies bei der Menschendarstellung fast unwillkürlich tun. Die Darstellung eines Menschen erscheint immer als das Bild eines mit Namen benennbaren Individuums während die Darstellung eines Tieres für die Repräsentation einer Gattung steht. Die Unterscheidung und Wiedererkennung von Tieren einer Gattung sind uns nur schwer möglich.
Haustiere mögen da eine Ausnahme sein. Aber bei Hartmut Neumann geht es nicht um domestizierte Tiere, die menschlichen Ersatz bieten. Seine Tiere haben keine Namen. Es sind nicht die Schoß- oder Kuscheltiere, die er im Blick hat. Und es geht nicht um Verniedlichung, sondern um Distanz, Fremdheit und Andersartigkeit. Diese Tiere, die Neumann ins Bild setzt, kann man nicht vereinnahmen. Sie schaffen um sich herum eine Aura und der Künstler tut alles, diese Unnahbarkeit zu verstärken und zu bestätigen.
Gerade dieses „Drumherum“ entzieht sich aber der einfachen Lesbarkeit. Es erscheint als Zierrat aus einer fremdartigen, künstlichen, jedenfalls nicht wirklichen Welt.
Nicht nur sein fotografisches Werk, das ein hohes inszenatorisches Moment aufweist, ist ein Zeugnis für ein hohes Maß an Reflexion, die gleichwohl eine Vieldeutigkeit oder sogar Widersprüchlichkeit konstituiert, ohne die jede ästhetische Relevanz zugunsten einer Eindeutigkeit verloren ginge.
Diese Bilderwelt zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, zwischen Tiefe und Oberfläche verweigert den Zutritt, machen den Umgang zu einem Risiko, sich darin zu verlieren und darin unterzugehen. Die Neumannsche Tierwelt ist ein Blick in unsere eigene Innenwelt mit ihren dunklen Seiten. Es ist eine Expedition mit ungewissem Ausgang – Alpträume nicht ausgeschlossen.
Ferdinand Ullrich
www.hartmut-neumann.com