Als Kind erkrankt Barbara Werres an Knochenkrebs. Kobalt-Bestrahlungen und Chemotherapien heilen sie, schädigen jedoch ihr Herz. Eine kontinuierlich zunehmende Herzschwäche macht ihr mit der Zeit mehr und mehr zu schaffen. Ihr Zustand verschlechtert sich schließlich so dramatisch, dass sie im Alter von 43 Jahren nur mit ein Spenderherz überleben kann.

Barbara Werres im Gespräch mit Dr. Katharina Tigges-Limmer

Der Mann neben ihr, welchen Eindruck macht er? Wirkt er hinfällig, wie bewegt er sich? Welche Schwächen zeigt er? Eingehend mustert Barbara Werres den etliche Jahre älteren, leicht behäbig wirkenden Patienten. Beide sitzen im Wartezimmer der Funktionsdiagnostik im Herz- und Diabeteszentrum (HDZ), bereit zum nächsten Ultraschall. Der Mann hat seit einigen Tagen das hinter sich, was der 43-Jährigen noch bevorsteht. Er scheint zu ahnen, was sie bewegt und blickt sie mit einem freundlichen Lächeln an. "Mädchen", sagt er jovial, "wenn Du transplantiert bist, wird alles gut."

Ein Satz mit Langzeitwirkung. Er hat der Frau aus Willich am Niederrhein schlagartig die Stimmung aufgehellt und für eine Weile ihre Zuversicht gestärkt. Seit einigen Wochen schon wartet  sie auf ein Spenderherz. Damit sie die Zeit bis dahin übersteht, wurden Barbara Werres zwei VAD-Pumpen (Ventricular Assist Device = Herzunterstützungssytem) vom Typ HeartWare implantiert. Sie übernehmen die Funktion der beiden Herzkammern, die fast vollständig ausgefallen sind. Die beiden VAD-Geräte, jedes etwa so groß wie eine Kinderfaust, werden von zwei Klinikfluren trifft sie schon mal Patienten in ähnlicher Verfassung. Dann empfindet sie, dass gemeinsames Leiden verbindet und den Umgang damit erleichtert. Sie hört Hoffnungen, die saugt sie auf, das stärkt sie.


Wie eine dicke Hummel

Barbara Werres war schon mal schlimmer dran. Einige Wochen vorher, Ende Oktober 2010, brachte ihr Mann Frank sie in eine nahe Klinik. "Ich fühlte mich so elend wie nie zuvor", erinnert sie  Eine zunehmende Benommenheit befiel sie. "Ich war zwischendurch richtig weg", sagt sie. Die Diagnose: schwere Herzinsuffizienz. Noch während der Untersuchung kam es zum Herzstillstand, sie musste reanimiert werden. Die Ärzte reagierten prompt. Im Notarztwagen wurde sie mit Blaulicht in das Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen, gebracht und kurz darauf in der dortigen Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie an das VAD-System angeschlossen.

"Du brummst wie eine dicke Hummel", sagt Frank Werres bei einem seiner Besuche im HDZ NRW, nachdem er sich zu seiner Frau gebeugt und das leichte Kreiselgeräusch der VAD-Pumpen gehört hatte. "Hummeln sind so freundliche Tiere", sagt sie. Der Vergleich hat sich für sie in ein Bild umgesetzt, das sie häufiger abruft. Das hilft ihr bei der Bewältigung von Trübsinn und Ängsten. Barbara Werres verspürt den Wunsch, das fantasierte Bild im Original zu erleben, in ihrem Garten im kommenden Frühjahr, wenn alles überstanden ist und sie wieder eine Zukunft hat.

Diese Gedanken tragen sie über Phasen von Unruhe und Schwermut hinweg. Ihr Kopf ist dennoch zeitweilig blockiert von schlimmsten Befürchtungen. Es sind Augenblicke, die sie wie eine Heimsuchung empfindet. Dann schwinden ihr sämtliche Konstanten, sie sieht alle Zuversichten wegbrechen, und neben der Ungewissheit um ihre Zukunft rotiert in ihren Gedanken die Sorge um ihre Familie. Wird sich ihr Mann um ihre beiden schulpflichtigen Söhne kümmern können? Wird er neben dem Beruf die  Zeit dafür finden? Wie kommen ihre Kinder mit ihrer Abwesenheit zurecht?


Befreiende Gespräche

Kein anderes Organ weckt so viele Emotionen, beschäftigt so gefangenen Gedanken und Empfindungen in die Zukunft zu richten, auf die Zeit nach der Transplantation. Barbara Werres freundet sich allmählich mit ihrer brummenden Mechanik an, die sie nach und nach als Lebensretter akzeptiert und zunehmend mit positiven Gedanken belegt. Sie erzählt auch von der Familie, das befreit sie von übertriebenen Sorgen. Nach den Gesprächen mit der Psychologin empfindet sie regelmäßig eine Erleichterung und verliert danach weitgehend die düsteren Gedanken und die alptraumhaften Fantasien. "Die psychologische Betreuung", sagt Barbara Werres, "hat mich davor bewahrt, in den Wochen vor der Transplantation nicht von Ängsten überwältigt zu werden."

Kein anderes Organ weckt so viele Emotionen, beschäftigt so gefangenen Gedanken und Empfindungen in die Zukunft zu richten, auf die Zeit nach der Transplantation.

Wie alles begann

Die Biografie der Barbara Werres liest sich wie ein Bulletin über Krankheiten. Bereits im Alter von neun Jahren erlebt sie den ersten schweren Anschlag auf ihre Gesundheit. An ihrer Beckenschaufel hat sich ein Ewing-Sarkom gebildet, die zweihäufigste Knochenkrebsart im Kindesalter. Die Ärzte in einer linksrheinischen Klinik entscheiden sich gegen eine Operation. Sie hätten zu viele Teile des Beckens entfernen müssen. Stattdessen wird das Mädchen in der Uni-Klinik in Köln sechs Wochen lang mit hochdosierten Kobalt-Strahlen behandelt. Gleichzeitig beginnt eine zweieinhalb Jahre dauernde Chemotherapie.

In ihrer Erinnerung verbindet Barbara Werres diesen Lebensabschnitt dauerhaft mit Hinfälligkeit, Schmerzen und Übelkeit. Die Nahrung erbricht sie. Medikamente, die den Brechreiz verhindern, sind in den 1970er-Jahren noch nicht auf dem Markt. Sie magert stark ab. Ihre Blutwerte sind durchgängig schlecht. Zwei Jahre lang kann sie die Schule nicht besuchen. Der Rektor richtet für sie später einen Privatunterricht ein, in dem sie das Versäumte nachholt und das Abitur macht. Es sind Jahre, in denen sich ihre Gesundheit stabilisiert.

Barbara Werres studiert Ökotrophologie und arbeitet freiberuflich als Ernährungsberaterin. Im Jahr 1997 wird ihr Sohn Alexander geboren. Danach befällt sie ein Herzrasen, ihr Gynäkologe gibt jedoch Entwarnung. Sie sei völlig gesund, sagt er. Sie empfindet das anders, sie muss es wissen. Schließlich ist es ihr Körper, der die Beschwerden macht, sie nehmen sogar noch zu. Bei der geringsten Anstrengung gerät sie außer Atem. Anfang Januar 2000 wird ihr zweiter Sohn Sebastian geboren. Bereits während der Schwangerschaft fühlte sie sich schlapp. „Ich bin“, sagt sie, „durch die Straßen geschlichen wie eine 80-Jährige.“


Die Kräfte schwinden

Nach der Geburt häufen sich die Probleme. Kurze Zeit später misst sie einen Ruhepuls von 100. Die Blutdruckwerte liegen nur noch bei 80 zu 40. Ihr Hausarzt weist sie in eine nahe Klinik ein. Sie wird sofort auf die Intensivstation verlegt. Der Klinikkardiologe kommt zu dem Befund: hochgradige Herzinsuffizienz. In den Beinen und in der Lunge haben sich rund zehn Liter Flüssigkeit angesammelt. Barbara Werres wird mit Medikamenten behandelt und kann bald die Klinik verlassen. Weil sich ihr Befinden nach einigen Wochen wieder verschlechtert, sucht sie einen niedergelassenen Kardiologen auf. Der Arzt hegt den Verdacht auf Herzmuskelentzündung (Myokarditis) und verordnet weitere Medikamente.

Mit Barbara Werres wird es gesundheitlich weiter bergab gehen. Das weiß sie, das fühlt sie. Kobalt-Bestrahlungen und die ihr verabreichten Chemotherapeutika sind stark kardiotoxisch, sie haben ihr Herz angegriffen und werden es mit ihrer dauerhaften Wirkung weiter schädigen. Die Ärzte bestätigen ihr den weiteren körperlichen Niedergang. Sie müsse sich, hört sie, auf eine Transplantation einstellen. Irgendwann, bald vielleicht schon.

Wie zur Bestätigung rutscht sie in eine weitere Schwächephase. Die junge Frau schafft ihr Pensum zu Hause nicht mehr. Ihre in der Nähe wohnende Mutter versorgt die beiden Söhne und hilft im Haushalt. Sie schleppt sich eines Tages in die Praxis des Kardiologen. „Sie haben wieder Wasser in der Lunge“, sagt er. Ihre Herzleistung ist auf weniger als ein Drittel geschrumpft.


Silvester auf der VAD-Station

Barbara Werres wird erneut in die Klinik eingewiesen. Zwei Herzklappen schließen nicht mehr einwandfrei. Im Dezember 2009 wird sie operiert. Die Mitralklappe und die Trikuspidalklappe werden mit einer Ringmanschette versehen und damit wieder angepasst. Doch die OP hat keine erkennbare Besserung gebracht, das merkt sie sehr bald in der anschließenden Reha. Der Speisesaal liegt in einem anderen Gebäudetrakt. Der Gang dorthin: eine Tortur. Eine Ärztin drängt Barbara Werres für ein EKG auf ein Trimmrad, sie bricht das ab. Ein leitender Arzt stellt fest: „Dafür sind Sie doch viel zu schwach.“

Quälende Fragen bedrängen sie in dieser Zeit, Fragen nach ihrer Zukunft, den ihr verbleibenden medizinischen Optionen, ihrer Familie, den Kindern vor allem. Ihre beiden Söhne kommen ihr verändert vor. Am Älteren fällt ihr das besonders auf. Wenn sie Alexander unter Gleichaltrigen erlebt, empfindet sie ihn gereifter, ernster und selbstständiger als seine Freunde. Ihre Söhne, denkt sie, werden künftig noch mehr in die Eigenverantwortung hineinwachsen. Zwangsläufig. Denn ihre Hinfälligkeit nimmt von Woche zu Woche zu.

Im Oktober 2010 geht nichts mehr. Ihr Mann fährt sie in die Klinik. Es ist der Tag, an dem die Ärzte sie mit Blaulicht ins HDZ NRW bringen lassen. Vier Wochen nach der Implantation der beiden VAD-Pumpen entscheidet die Transplantationskonferenz, sie auf die Hochdringlichkeitsliste für ein Spenderorgan setzen zu lassen. Von Dr. Michiel Morshuis, Leiter der VAD-Station, erfährt Barbara Werres, dass ihre Daten bereits an die europäische Organvermittelung Eurotransplant übermittelt wurden.

Endlich Gewissheit, endlich ein Ende der wechselnden und sie verunsichernden Therapie Alternativen. „Ich fand das sehr beruhigend“, sagt sie. An Weihnachten und Silvester erhält sie Besuch von der Familie. Ihr Mann und ihre Kinder am Krankenbett, das stärkt die Zuversicht, weckt Wünsche. Die nächsten Weihnachten, ermuntert sich Barbara Werres, werde ich zu Hause verbringen.


„Vielleicht siehst du mich ja wieder“

In den Wochen in der Klinik hat sich ein Satz fest verankert in ihrem Kopf. Die Psychologin Dr. Tigges-Limmer hatte ihn in einem der ersten Gespräche gesagt: „Eine Transplantation ist wie ein Fenster zur Welt.“ Barbara Werres hat ihn verinnerlicht wie ein Motto. Sie verbindet damit den gedanklichen Sprung in ihre Zukunft. Das hilft ihr über die Wartezeit hinweg. Anfang März eilt plötzlich ein Arzt in ihr Zimmer: „Der Anruf ist da, für Sie ist ein Spenderherz unterwegs.“

Das ist rund drei Jahre her. Während Barbara Werres davon erzählt, sitzt sie in Willich am Wohnzimmertisch und blickt in den Garten. Das dunkelrote Ziegelhaus liegt in einer ruhigen Siedlung am Rande des Ortes. Haus und Grundstück sind umgrenzt von einer mannshohen Hecke. Sie weiß noch, als der Arzt ihr die Nachricht überbrachte, habe sie am ganzen Körper gezittert. Ihre Angst bündelte sich in dem schrillen Gedanken: „Werde ich das überleben?“ Sie habe sofort ihren Mann angerufen und ihm gesagt: „Jetzt geht es los. Vielleicht sieht du mich ja morgen wieder.“

Barbara Werres hat die Zeit seither genossen. Sie weiß, dass sie ein sehr robustes Spenderherz hat. So stabil wie heute hat sie sich schon seit Jahrzehnten nicht mehr gefühlt. Alle sechs Monate fährt sie zur medizinischen Kontrolle ins Herz- und Diabeteszentrum nach Bad Oeynhausen. „Die Ärzte dort“, sagt sie, „geben mir ein Gefühl der Sicherheit. Heute sage ich mir, ich hätte schon Jahre vorher das HDZ NRW aufsuchen sollen.“

Gelegentlich noch, vornehmlich an einem ruhigen und sonnigen Tag im Frühjahr, wird sie schon mal an das Geräusch der VADPumpen erinnert. Immer dann, wenn sie auf der Terrasse sitzt und das Brummen einer dicken Hummel hört. Für Barbara Werres ist es ein angenehmes Geräusch. „Hummeln sind so freundliche Tiere“, sagt sie wieder und fügt noch hinzu: „Und schön sind sie auch.“ 

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